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Der Novemberpogrom im Hattersheim, Eddersheim und Okriftel

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DER NOVEMBERPOGROM IN HATTERSHEIM, EDDERSHEIM UND OKRIFTEL

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JÜDISCHES LEBEN IN DEN HATTERSHEIMER GEMEINDEN

Von den Ursprüngen bis zur "Machtergreifung"

Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Hattersheim in der Erbsengasse, um 1890.
Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Hattersheim in der Erbsengasse, um 1890.
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Die Ursprünge des jüdischen Lebens auf dem Gebiet der heutigen Stadt Hattersheim am Main reichen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurück. Hier entstanden in jener Zeit kleine Gemeinden, welche Teil des heterogen zusammengesetzten Landjudentums wurden. Aufgrund der Nähe der Ortschaften zueinander, gab es natürlich auch Kontakte unter den Gemein-
den. Die Jüdinnen und Juden aus Hattersheim, Eddersheim und Okriftel waren vor allem im (Vieh-) Handel und im Metzgerhandwerk tätig.

In Hattersheim gab es spätesten ab Ende des 18. Jahrhunderts eine Synagoge in der Erbsengasse. In Okriftel fanden die Gottesdienste in Privathaushalten statt; zeitweise besuchte man auch das Gotteshaus in Hattersheim. Anfang
des 20. Jahrhunderts stellte die Unternehmerfamilie Offenheimer auf dem Gelände der Papier- und Cellulosefabrik in der sogenannten Jüdischen Schule einen Gebetsraum zur Verfügung. Die in Eddersheim lebenden Jüdinnen und Juden besuchten die Gottesdienste in Flörsheim.

Die jüdischen Gemeinden in Hattersheim, Eddersheim und Okriftel waren
und blieben klein. 1933 lebten in Hattersheim 15, in Okriftel immerhin 32
und in Eddersheim 11 Personen, welche (hier und im Folgenden) nach nationalsozialistischer Definition als Jüdinnen und Juden galten. Nach der "Machtergreifung" hatten sie natürlich auch unter der fortschreitenden Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung zu leiden. Und auch hier
wurde das Jahr 1938 zu einem Wendepunkt.

Weitere Informationen zur Geschichte des jüdischen Lebens in Hattersheim, Eddersheim und Okriftel finden Sie hier:

https://stadtarchivhattersheim.pageflow.io/judisches-leben-in-hattersheim



                  

 


Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Hattersheim in der Erbsengasse, um 1890.
Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Hattersheim in der Erbsengasse, um 1890.
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DAS "SCHICKSALSJAHR" 1938

Das Jahr 1938 wird im Kontext der Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus oft als "Schicksalsjahr" (Avraham Barkai) bezeichnet. Terror, Einschüchterung, Unterdrückung und Verfolgung intensivierten sich.

Hier sind vor allem die Maßnahmen zur endgültigen Aus-
schaltung der Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschafts-
leben, die Verhängung weiterer Berufsverbote sowie diverse Boykottaktionen zu nennen. Nach dem "Anschluss" Öster-
reichs im März spitzte sich auch dort die Situation zu.

Zudem entzog man den jüdischen Glaubenshäusern
den staatlichen Schutz, indem man ihnen den Status
als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" aberkannte.

Weitere Gesetze und Verordnungen folgten. Im Juli
wurde eine besondere Kennkarte für Juden eingeführt,
im August die Verordnung erlassen, dass sie ab Januar 1939 den Zwangsvornamen Sara oder Israel annehmen mussten;
im Oktober wurde der Vermerk "J" in Reisepässen zur Pflicht.

Eine andere entscheidende Art der Verschärfung des Vorgehens gegen die jüdische Bevölkerung waren vor allem die zwanghaften Vertreibungen, die im Jahre 1938 erstmals im großen Stile erfolgten; wie etwa im Zuge der sogenannten "Juni-Aktion". Als Teil der Aktion "Arbeitsscheu Reich" wurden beispielsweise über 10.000 "Asoziale" (unter ihnen auch zahlreiche Jüdinnen und Juden) verhaftet und in Konzen-
trationslager verschleppt. Zu nennen ist hier auch die "Polenaktion" vom 27. und 28. Oktober, in deren Rahmen rund 17.000 (vorwiegend männliche) sogenannte "Ostjuden" verhaftet und über die Grenze nach Polen getrieben wurden. Tausende mussten ohne Verpflegung und Unterkunft über Tage im Niemandsland verweilen.

Unter den Verschleppten befand sich auch die Familie Grynszpan aus Hannover, deren damals 17-jähriger Sohn Herschel in Paris lebte und somit der Abschiebung entging.
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DER NOVEMBERPOGROM

"Aktionshäftlinge" im KZ Buchenwald, November 1938.
"Aktionshäftlinge" im KZ Buchenwald, November 1938.
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In Reaktion auf die Ereignisse rund um die "Polenaktion" verübte Herschel Grynszpan am 7. November 1938 in der deutschen Botschaft in Paris ein Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath, an dessen Folgen dieser am
9. November verstarb.

Dieses Attentat wurde von den Nationalsozialisten als eine Verschwörung
des "Weltjudentums" gegen das Reich hochstilisiert und zum Vorwand für
die Inszenierung der sogenannten "Reichskristallnacht".

Am Abend des 9. Novembers begann mit einer Rede von Joseph Goebbels vor den "alten Kämpfern" des Hitler-Putschs von 1923 im Münchener Rathaussaal der organisierte, nationale Pogrom. Die Ausschreitungen sollten bis zum 
13. November andauern.

Insgesamt wurden während des Pogroms im November 1938 über 1.400 Synagogen und Betstuben zerstört und zahllose jüdische Geschäfte
und Wohnungen, Gemeindehäuser und selbst Friedhöfe verwüstet be-
ziehungsweise geplündert. Mehr als 30.000 jüdische Männer wurden verhaftet und rund 26.000 von ihnen in die Konzentrationslager
Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt.

Man schätzt die Zahl der Toten heute auf bis zu 1.500; rund 1.000 Männer starben zudem in der KZ-Haft oder als Folge der Inhaftierung.
"Aktionshäftlinge" im KZ Buchenwald, November 1938.
"Aktionshäftlinge" im KZ Buchenwald, November 1938.
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DIE GESCHEHNISSE IN HESSEN

In Hessen kam es bereits nach den ersten Meldungen
über das Attentat auf Ernst vom Rath zu Ausschreitungen.
Größere Ausmaße nahmen diese beispielsweise in Kassel
an, wo bereits am Abend des 7. Novembers die erste
hessische Synagoge zerstört wurde.  

Auch am 8. November kam es zu Ausschreitungen in Hessen – insbesondere wieder im nordhessischen Raum.

Einer der "alten Kämpfer", der am Abend des 9. Novembers
in München zu den Adressaten der Rede Goebbels wurde,
war der Frankfurter Polizeipräsident Adolf Beckerle, der gleichzeitig SA-Obergruppenführer von Hessen-Nassau
war. Die Mobilisierung von Partei, SA, NSKK und HJ zum
Pogrom begann sogleich – Aufgaben wurden verteilt,
Aktionen koordiniert.

Im Main-Taunus-Kreis blieb es zunächst vergleichsweise ruhig. Hier begannen die Ausschreitungen im Verlauf des
10. Novembers – so auch in den Gemeinden Hattersheim, Eddersheim und Okriftel.
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DER POGROM IN HATTERSHEIM

Pogromopfer in Hattersheim.
Pogromopfer in Hattersheim.
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In Hattersheim lebten im November 1938 nur noch acht Personen,
die nach nationalsozialistischer Definition als Jüdinnen oder
Juden galten. Das waren
  • Sophie Maas, 64 Jahre, Hauptstraße 42,
  • Rosa Junker, 66 Jahre, Untertorstraße 18,
  • Erna Mitter, 32 Jahre, Hauptstraße 19,
  • das Ehepaar Theodor und Mina Grünebaum, beide 73 Jahre, Staufenstr. 16 sowie
  • das Ehepaar Ludwig und Elisabeth Nassauer mit Tochter Irma, 60, 55 und 23 Jahre, Mainzer Landstr. 52.
Eine Schadensmeldung über eine zerstörte Synagoge in Hattersheim liegt nicht vor. Das Gebäude in der Erbsengasse wurde zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr als Gotteshaus genutzt.

Sophie Maas, Rosa Junker und Erna Mitter lebten in "privilegierten Misch-
ehen" und waren offenbar nicht von den Ausschreitungen betroffen. 

Jedoch wurden die Familien Grünebaum und Nassauer Opfer von Übergriffen.


Ausführliche Biographien zu den Hattersheimer Opfern der NS-Herrschaft finden Sie hier:

https://www.hattersheim.de/stolpersteine


 





Pogromopfer in Hattersheim.
Pogromopfer in Hattersheim.
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Der Pogrom begann in Hattersheim am Abend des 10. No-
vembers. Zwischen 22 und 23 Uhr wurde das Wohn- und Geschäftshaus des Metzgers Ludwig Nassauer an der Ecke Hofheimer Straße/ Mainzer Landstraße überfallen. Die Aus-schreitungen dauerten offenbar bis etwa Mitternacht an. Die Täter brachen dabei in das Kühlhaus ein und warfen das dort gelagerte Fleisch auf die Straße. Wäschestücke, vor allem aber auch Wertsachen wie Silber und Schmuckstücke, Pelze und Uhren wurden gestohlen. Wie so viele andere in diesen Tagen, so wurde auch Ludwig Nassauer verhaftet und über Frankfurt in das KZ Buchenwald verschleppt.  

Die Täter, die im Hause wüteten, waren größtenteils keine Unbekannten – es soll sich hierbei vor allem um SA-Männer aus der Gemeinde sowie Anwohnerinnen und Anwohner aus der näheren Umgebung gehandelt haben. Gegen einen Landarbeiter aus der Bergstraße wurde im Mai 1939 durch
das Amtsgericht Höchst Strafbefehl wegen Plünderei, wegen Diebstahls von Kleidungs- und Wäschestücken erlassen. Möglicherweise befanden sich unter den Tätern jedoch
auch einige Personen, die nicht aus Hattersheim stammten;
so unbekannte Mitglieder der Hitlerjugend.

Irma Simon (geb. Nassauer) berichtete nach dem Krieg, dass die Familie an diesem Abend auch Unterstützung und Hilfe erfuhr. Ein Polizeibeamter habe der Familie – auf leider nicht näher bezeichnete Art und Weise – geholfen. Eine ortsan-
sässige Ärztin soll sich derweil um die erkrankte Elisabeth Nassauer gekümmert haben. Ein in der Gemeinde lebender Freund habe ihr dann auch bei der Flucht aus Hattersheim geholfen.

Irma Simon erinnerte sich später wie folgt an die Ereignisse...          
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Sehr geehrte Herren,  

ich erhielt Ihren Brief und es fällt mir schwer, ihn zu beant-
worten, weil ich nicht gerne an diese Zeiten erinnert werden will. Mir ist nicht viel davon mehr im Gedächtnis; 
denn vor lauter Aufregung, konnte man ja nicht denken.

Einen Unhold kann ich nur beschreiben und das ist ein junger Kerl, der s. Zt. bei der Bahn in Hattersheim angestellt war.
Er wohnte in Georgs Haus in der Frankfurter Straße unten parterre, ich weiß keinen Namen, ich denke, das war einer
der Schlechtesten.

Dann war noch einer und das war Hübner Wilhelm jr., er war
s. Zt. am Finanzamt in Höchst. Er war der einzige, der es über sich brachte, uns s. Zt. fortzubringen. Alles andere ist mir entfallen.

Aber eines weiß [ich] noch und das ist Polizist Schneider.
Er war in der verhängnisvollen Nacht ein ganz fabelhafter Mensch […]. Er weiß sicher mehr wie ich und wenn er will, kann er Ihnen sicher manche Auskunft geben.

Ebenso war Frau Dr. Ließ uns in der Nacht eine Hilfe, meine lb. Mutter war doch krank im Bett und sie brachte es fertig, zu ihr zu kommen.  


Von unserer Familie ist nichts mehr übrig außer meine Tante Müller in Höchst und von Grünebaums weiß man auch nichts mehr.  

[…]  

[Mit bestem] Gruß auch von meinen lb. Eltern bin ich Ihre

Irma Simon (Nassauer)

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Über die Geschehnisse vor dem Hause des Ehepaars Theodor und Mina Grünebaum in der Staufenstraße gibt es widersprüchliche Aussagen.

Einige Quellen berichten, dass sich bis zu acht Personen vor ihrem Haus versammelt hatten, um das Ehepaar zu überfallen. NSDAP-Ortsgruppenleiter Friedrich Windeis soll sie mit vorgehaltener Waffe von ihrem Vorhaben abgehalten haben. Grund dafür soll dessen persönliche Beziehung zu
Theodor Grünebaum gewesen sein – beide hatten einst als Kollegen bei
den Farbwerken Hoechst gearbeitet.

In einer Vernehmung Ende 1946 berichtete hingegen eine Zeugin, dass
das Ehepaar Grünebaum von einem Gendarmerie-Beamten aus Flörsheim verhaftet worden sei. Nach deren Verhaftung sollen sich Anwohnerinnen
und Anwohner an Mobiliar und Hausrat bereichert haben. Ortsgruppenleiter Windeis etwa habe das Tafelsilber und ein Buffet an sich genommen.

Andere Hinweise auf diese Vorkommnisse konnten nicht gefunden werden, sodass sich der Widerspruch aus den vorliegenden Quellen derzeit nicht aufklären lässt.

Weitere Meldungen zu den Geschehnissen im November 1938 liegen für Hattersheim nicht vor.
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DIE EREIGNISSE IN EDDERSHEIM

Pogromopfer in Eddersheim.
Pogromopfer in Eddersheim.
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In Eddersheim lebten im November 1938 noch
elf Jüdinnen und Juden.

Im Vergleich zu den anderen beiden Hatters-
heimer Stadtteilen, gab
es hier auch die meisten und massivsten Ausschrei-
tungen.


Opfer des Pogroms in Eddersheim wurden
  • Julius und Rosa Klein, 66 und 64 Jahre, mit Tochter Alice Frohwein, 34 Jahre und Enkel Arnold, knapp 3 Jahre, Bahnhofstraße 7,
  • das Ehepaar Max und Rosa Hubert, 64 und 68 Jahre, mit ihren erwachsenen Kindern Klara, 34 Jahre, und Moritz, 31 Jahre, Propsteistraße 3,
  • Mutter Regina mit Tochter Martha Hahn, 71 und 45 Jahre, Propsteistraße 6 sowie
  • Johannette Klein, 77 Jahre, Fischergasse 11.

Auch in Eddersheim begann der Pogrom in den Abendstunden
des 10. Novembers
. Zwei Gruppen von Tätern waren hier am Werke.

Eine Gruppe wurde vermutlich von Ortstfremden angeführt, die kurz
zuvor mit dem Zug aus Richtung Frankfurt im Dorf angekommen waren.
Sie zog zwischen 18 und 19 Uhr zum Haus der Familie Klein/ Frohwein
in die Bahnhofstraße. Eine zweite Gruppe machte sich auf den Weg zum
Hause Hubert in die Propsteistraße.

Neben zwei Eddersheimer Hitlerjungen, SA-Mitgliedern und diversen Anwohnerinnen und Anwohnern, sollen auch einige am Autobahn- und Kraftwerkbau angestelle Arbeiter sowie Werksschar-Mitglieder der Okrifte-
ler Papier- und Cellulosefabrik als Täter aufgetreten sein; Mitglieder der Feuerwehr sollen vor den zerstörten Häusern Wache gestanden haben.


Ausführliche Biographien zu den Eddersheimer Opfern der NS-Herrschaft finden Sie hier:

https://www.hattersheim.de/stolpersteine 







Pogromopfer in Eddersheim.
Pogromopfer in Eddersheim.
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Im Hause Klein zerstörte eine Gruppe von Randalierern an diesem Abend die Fenster, die Rollläden und das Mobiliar des Wohnhauses. Am Ende soll das Haus praktisch völlig zerstört gewesen sein. Wertgegenstände wie Silberbestecke und Leuchter wurden geraubt, Julius Klein wurde misshandelt.

Nach Kriegsende berichteten Zeuginnen und Zeugen sowie Täter:  

[Wir] sind dann in das Haus Klein eingedrungen. Verschiedene Personen […] haben Herrn und Frau Klein sowie ihre Tochter, die in der Küche saßen, aufgefordert, das Haus zu verlassen. Da sie dieser Aufforderung nicht sofort Folge leisteten, sind
wir in die verschiedenen Wohnräume hineingegangen. Ich selbst bin in das Schlafzimmer gegangen und hielt mich dort mit ca. 4-5 Personen auf, die sich mit mir gemeinsam an dem Zertrümmern der Einrichtung beteiligten.
  

Ich sah genau wie ein Fremder mit einem Messer in ein Bett stach, sodass die Federn flogen.

Der erste Eindruck war, dass vor dem Hause Bettfedern lagen und die Fensterläden eingeschlagen waren. […] Ich sah, dass aus dem oberen Fenster des Hauses ein Schrank und ein Ofen herausgeworfen [wurden].  

Ein Hitlerjunge berichtete nach dem Krieg:

Als wir […] einige Läden eingeschlagen hatten, kam der Jude Klein aus dem Hause gelaufen und wollte flüchten. […] [Ein Mann] nahm aus einem Wagen der mit Zuckerrüben beladen war einige Rüben und warf diese dem Flüchtenden nach.  

Allein eine Anwohnerin soll gegen die Täter im Hause Klein vorgegangen sein; leider wird aus den Quellen nicht ersicht-lich, auf welche Weise sie die Opfer unterstützte.  

Später schilderte Alice Frohwein die Ereignisse wie folgt…  
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Ich flüchtete mit meinem Jungen in eine Scheune und
verblieb dort eine Nacht in der ständigen Angst vor
weiteren Verfolgungen.


[Ich erinnere mich, d. V.] dass im Haus meiner Eltern
praktisch kein Stück mehr ganz war, dass auch Türen
und Fenster zerstört waren. […]

[Ich] kann über diese Ereignisse in der sogen. Kristallnacht nur sagen, dass - nachdem ich alles sah - mich das Grauen gepackt hat. Mehr bin ich beim besten Willen nicht in der Lage zu sagen[,] es sei denn, dass ich in der gleichen Nacht, wie so viele Andere, nur noch einen einzigen Wunsch hatte und diesen auch durchführte, nicht[s] mehr davon zu sehen.

Ich erinnere mich heute noch, dass ich einige Kleider hoffte aus den Trümmern für mich retten zu können - auch das eine oder andere Schmuckstück und bares Geld[,] von dem ich wusste, wo wir es aufbewahrt hatten.

Selbst an diesem Vorhaben wurde ich durch die in meiner Wohnung wütenden Nazis gehindert […] und ich flüchtete nach Mainz, wo Angehörige meines Mannes wohnten.

Die Wohnung habe ich nicht mehr betreten und bin von
Mainz aus direkt nach Köln gefahren und von Köln
aus ausgewandert.


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FAMILIE HUBERT

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Zeitgleich mit den Ereignissen im Hause Klein begann der Überfall auf die Familie Hubert in der Propsteistraße.

Max Hubert war Inhaber eines Schuhwarenladens mit Schusterei, welchen
er viele Jahre erfolgreich betrieben hatte. Sohn Moritz war ebenfalls Schuh-
macher und Tochter Klara hatte im väterlichen Betrieb die Buchführung übernommen.

An einem Abend im November 1938 hörte ich auf der Straße Krach und Geschrei. Ich ging mit meinen Kindern auf die Straße, nach dem Anwesen
von Hubert. Dort habe ich eine größere Menge Leute gesehen, welche Möbel, Deckbetten und sonstige Gegenstände zertrümmerten und von dem Fenster auf die Straße warfen.


So erinnerte sich eine Zeugin im Jahr 1947 an die Geschehnisse. Tochter
Klara und Sohn Moritz berichteten später, dass auch am 11. November
der "spontane Volkszorn" seinen Lauf nahm:

Das Lager in der Mainstraße wurde damals

teilweise zerstört, geraubt und verschleudert […]. 

Die Schuhe wurden

auf den Hof geworfen und in die Zisterne […].

Das Geschäft wurde umgehend durch die Gemeindeverwaltung abgemeldet.

Zu diesem Zeitpunkt war Moritz Hubert bereits verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert worden.
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Die jüdischen Familien Hahn und Klein lebten mindestens
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Eddersheim. Durch
die Heirat von Regina Klein mit Josef Hahn hatten sich die beiden alteingesessenen Familien vereinigt.

Im Herbst 1938 wohnten im Haushalt in der Propsteistraße nur noch Regina Hahn und ihrer Tochter Martha. Auch sie wurden an diesem Abend zu Opfern von Ausschreitungen.

Alle Fenster des Hauses wurden zerschlagen, die Möbel ebenso. Ein Nachbar berichtete nach dem Krieg:  

Im Hofe angekommen sah ich, dass Frau Hahn, ihre Tochter und der Schwager der Frau Hahn am Fenster des ersten Stockwerkes standen […]. Frau Hahn rief, "Franz hilf uns, sie machen uns kaputt". Ich habe darauf kurz entschlossen […] eine Leiter an das Fenster gelegt und alle drei Personen heruntergeholt. […] Meine Frau und ich nahmen die drei Personen dann in unsere Küche auf. Als der Krach im Hause Hahn dann stärker wurde, wünschte Frau Hahn mit ihren Angehörigen lieber in der Scheuer versteckt zu sein, damit
wir keine Unannehmlichkeiten bekommen würden. Die
drei Personen blieben dann über Nacht in der Scheuer.
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In der Fischergasse 11 wohnten die beiden unverheirateten Schwestern Johanette und Katharina Klein. Nur wenig ist
über sie bekannt.

Im November 1938 lebte nachweislich noch die 77-jährige Johanette ("Settchen") in Eddersheim.

Auch sie wurde am Abend des 10. Novembers in ihrer Wohnung überfallen. Die Haustür, das Mobiliar und einige Fenster wurden zerstört. Eine Anwohnerin erinnerte sich später:

Irgendeine Person muss das S. Klein sehr geschlagen haben. Als ich ihre Hilferufe hörte, konnte ich diese nicht mehr hören und bin in meine Wohnung gegangen.
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DER POGROM IN OKRIFTEL

Pogromopfer in Okriftel.
Pogromopfer in Okriftel.
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In Okriftel hatten erfolgreiche jüdische Unternehmen die Entwicklung
der Gemeinde seit dem 19. Jahrhundert entscheidend geprägt. Neben einer Seifenfabrik mit Fetthütte ist hier vor allem die von der Unternehmerfamilie Offenheimer-Bloch geführte Papier- und Cellulosefabrik zu nennen.

Im Herbst 1938 hatten bereits viele Verfolgte den Ort verlassen; nur noch
neun Jüdinnen und Juden waren zu diesem Zeitpunkt in Okriftel gemeldet. Das waren
  • das Ehepaar Ernst und Elly Offenheimer, 46 und 35 Jahre, Kirchgrabenstraße/ Bonnemühle,
  • das Ehepaar Siegfried und Marie Therese Bloch, 56 und 48 Jahre, Kirchgrabenstraße/ Bonnemühle,
  • Lucie Offenheimer, 70 Jahre, Kirchgrabenstraße/ Bonnemühle,
  • das Ehepaar Bernhard und Eugenie Hahn, 62 und 61 Jahre,    Langgasse 3 sowie 
  • das Ehepaar Adolf und Johanna Schwarz, 66 und 59 Jahre,      Neugasse 10.
Wie die Familie Offenheimer-Bloch den Pogrom erlebte ist nicht bekannt. Vermutlich hielt sie sich im November 1938 bereits in Frankfurt auf.
Die Fabrik war bereits im Sommer "arisiert" worden und die Flucht
der Familie aus Deutschland stand unmittelbar bevor.

Wie schon in Hattersheim und Eddersheim, begannen die Ausschreitungen
in Okriftel am Abend des 10. Novembers – vermutlich gegen 19 Uhr.

Im Gegensatz zu den anderen Gemeinden, ist über die Täter in Okriftel
bisher nur wenig bekannt – Mitglieder der SA sollen beteiligt gewesen sein.


Ausführliche Biographien zu den Opfern der NS-Herrschaft in Okriftel finden Sie hier:

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Pogromopfer in Okriftel.
Pogromopfer in Okriftel.
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Das Ehepaar Schwarz führte ein bescheidenes Leben. Ihren Unterhalt verdienten sie als Altmetallhändler und Hausierer.

In ihrem Haus in der Neugasse kam es am Abend des
10. Novembers offenbar zu körperlichen Übergriffen.
Zeuginnen und Zeugen berichteten später, dass das Ehepaar im eigenen Keller eingesperrt und mit einem Messer bedroht wurde. Adolf Schwarz soll zudem misshandelt worden sein.

Darüber hinaus wurden die Fenster des Hauses zerschlagen, Einrichtungsgegenstände und das Dach wurden zerstört.

Die Aufnahme des beschädigten Gebäudes entstand am
19. März 1939. Lehrer und NSDAP-Ortsgruppenleiter Oskar Schneider hatte seine Schülerinnen und Schüler zum Haus geführt und auf dem zerstörten Dach posieren lassen.  
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Werbeanzeige für das Kaufhaus Bernhard Hahn in Okriftel,  um 1925.
Werbeanzeige für das Kaufhaus Bernhard Hahn in Okriftel, um 1925.
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Bernhard Hahn stammte aus einer alteingeses-
senen jüdischen
Familie in Okriftel. Viele Jahre lang führte er in seinem Haus in der Langgasse
ein erfolgreiches kleines Kaufhaus.

Aufgrund der zunehmen-
den Repressionen hatte das Geschäft bereits vor dem Pogrom schließen müssen. Waren sollen zu diesem Zeitpunkt dort daher nicht mehr gelagert gewesen sein. Dennoch wurde das Wohn- und Geschäftshaus am Abend des 10. Novembers über-
fallen und offenbar restlos verwüstet.

Das Mobiliar wurde zerschlagen, selbst die Heizung soll zerstört worden sein. Viele Wertgegenstände wurden gestohlen. Eugenie Hahn wurde im Zuge der Ereignisse am Kopf verletzt.

Über die Geschehnisse im Hause seiner Eltern berichtete Willi Hahn später…
Werbeanzeige für das Kaufhaus Bernhard Hahn in Okriftel,  um 1925.
Werbeanzeige für das Kaufhaus Bernhard Hahn in Okriftel, um 1925.
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Anläßlich des Judenpogroms im November 1938
wurden unser Geschäft und [die] Wohnung durch nationalsozialistische Anführer und Elemente heim-
gesucht, total demoliert, sämtliches Mobiliar zerschla-
gen und alles von Wert entwendet.

Ein schwerer gepanzerter Kassenschrank wurde mittels Brecheisen gewaltsam aufgerissen, wobei auch die Buch-
führung des Geschäftes abhanden kam, ebenso die
darin befindlichen Geldbeträge und Wertgegenstände.

Das Gebäude selbst erlitt große Schäden. Die Zentral-
heizungskörper wurden zerschlagen, sämtliche Möbel
und Schränke vernichtet. Der Inhalt unserer Schränke,
sowie sämtliches Küchengeschirr [wurden] zerissen [sic], befleckt, zerschlagen und total unbrauchbar gemacht.         

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Eine erschütternde […] Szene ist uns zuverlässig aus dem Dorf Okriftel bei Mainz erzählt worden. Ein Neunjähriger kommt nach Hause gerannt und ruft: "Vater, gib mir ein Beil, heute schlagen wir bei den Juden alles kaputt."

Einen Augenblick lang spürt der Vater den Wunsch, seinen Jungen durch eine Ohrfeige zur Besinnung zu bringen.
Er unterlässt es.

Sein neunjähriger Hitlerjunge ist in diesem Augenblick stärker als er; eine Strafe würde aus dem Bürschlein einen durch seine kindlichen Parteifreundschaften gefährlichen Feind machen. […]

Das Beil bekommt der Junge nicht, aber halten kann der Vater ihn auch nicht. Glückselig stürmt der Neunjährige davon; er wird schon ein Werkzeug gefunden haben, mit dem er bei den Juden alles kaputt schlug.  

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DIE FOLGEN DES POGROMS

DIE FOLGEN DES POGROMS

Schreiben des Bernhard Hahn an den Okrifteler Bürgermeister bezüglich der Vorbereitung seiner Emigration, 12. Juni 1939.
Schreiben des Bernhard Hahn an den Okrifteler Bürgermeister bezüglich der Vorbereitung seiner Emigration, 12. Juni 1939.
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Der Pogrom war Wende-
punkt und zugleich Fort-
setzung der "Judenpoli-
tik", er war nicht das un-
mittelbare Vorspiel für den Völkermord, spielte jedoch eine entscheiden-
de Rolle im Prozess der Radikalisierung.

Mit der "Kristallnacht" en-
dete die Hoffnung vieler Jüdinnen und Juden, in Deutschland bleiben zu können. Die Pogromopfer und vor allem auch die Rückkehrer aus den Konzentrationslagern waren tief traumatisiert.

In der Folgezeit erging eine Fülle an Anord-nungen und Gesetzen, welche das wirtschaft-
liche, berufliche und kulturelle Leben zum Erliegen brachten und somit das Ende der jüdischen Existenzmöglichkeit im Reich einläuteten. 

Als erste von drei "Pogromverordnungen" trat beispielsweise am
12. November die "Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes
bei jüdischen Gewerbebetrieben" in Kraft, in deren Rahmen unter anderem die Versicherungsleistungen für die im Zuge der "Kristallnacht" entstandenen Schäden beschlagnahmt wurden. So meldete etwa der Okrifteler Bürgermeister:

Das Hahn’sche und Schwarz’sche Wohnhaus habe ich so verschliessen lassen, dass die Zerstörung nicht so sehr sichtbar ist. An dem Schwarz’schen Wohn-
haus ist das Dach noch zertrümmert. Das betr. Wohnhaus lohnt sich nicht mehr instandzusetzen [sic].


Die Ereignisse im November 1938 und der Folgezeit führten zu einer panikartigen Massenflucht aus Deutschland.

Und auch für die noch in den drei Hattersheimer Gemeinden lebenden Jüdinnen und Juden bedeuteten sie das Ende.
Schreiben des Bernhard Hahn an den Okrifteler Bürgermeister bezüglich der Vorbereitung seiner Emigration, 12. Juni 1939.
Schreiben des Bernhard Hahn an den Okrifteler Bürgermeister bezüglich der Vorbereitung seiner Emigration, 12. Juni 1939.
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Das Ehepaar Nassauer aus Hattersheim fand zunächst bei Verwandten in Darmstadt Unterschlupf; die Metzgerei in
der Mainzer Landstraße war zu diesem Zeitpunkt bereits abgemeldet worden. Nach Zusicherung, dass er umgehend auswandern würde, war Ludwig Nassauer am 8. Dezember 1938 aus dem KZ Buchenwald entlassen worden. Durch die Hilfe eines dort lebenden Freundes, gelang ihm noch im Dezember 1938 die Flucht nach Basel. Seine Frau lebte von nun an in Frankfurt und regelte von dort aus den Verkauf des Hauses in Hattersheim. 1940 folgte sie ihrem Mann in die Schweiz. Gemeinsam wanderten sie 1941 von dort aus in
die USA aus. Auch Tochter Irma emigrierte in die Vereinigten Staaten.  

Das Ehepaar Grünebaum wurde 1942 nach Theresien-
stadt und von dort aus in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Das Wohnhaus wurde hiernach vom Finanzamt versiegelt und das Eigentum später veräußert. Ihrem Sohn Heinrich berichtete man nach dem Krieg:

[Eine Nachbarin besaß] sogar den traurigen Mut, bei dem Abtransport Ihrer Eltern extra nach Frankfurt zu fahren, um sich mit einigen "passenden" Worten von […, ihnen] zu verabschieden.   

Sophie Maas wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Erna Mitter wurde 1942 über Ravensbrück ebenfalls nach Auschwitz deportiert – auch sie überlebte nicht.       

Rosa Junker überstand die Verschleppung in ein Frankfurter Sammellager und den Holocaust, konnte sich jedoch von den Ereignissen nicht wieder erholen.

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Sämtliche jüdischen Familien haben Eddersheim verlassen […].

So lautete die Meldung des Eddersheimer Bürgermeisters am
13. November 1938 an den Landrat.

Regina und Martha Hahn sowie Max, Rosa und Moritz Hubert, der am
28. November aus der KZ-Haft entlassen worden war, wurden, wie auch
Klara Hermann, noch Ende November 1938 nach Frankfurt abgemeldet.
Max und Rosa Hubert lebten zusammen mit Regina und Martha Hahn
fortan in der Mainmetropole. Julius und Rosa Klein folgten ihnen noch
Anfang Dezember.  

Moritz Hubert gelang im Dezember 1938, Klara Hermann im Februar 1939 die Flucht in die USA.

Max und Rosa Hubert wurden im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rosa Hubert starb dort noch im Dezember des gleichen Jahres,
ihr Ehemann im März 1944.

Julius und Rosa Klein mussten in Frankfurt bald in ein sogenanntes "Juden-
haus" ziehen. Im Oktober 1941 wurden sie von dort aus in das Ghetto Lodz deportiert, wo sie im April 1942 starben. Tochter Alice Frohwein gelang gemeinsam mit ihrem Sohn Arnold im Dezember 1938 die Flucht nach
Belgien, später nach England. 

Regina Hahn verstarb im Mai 1942 in Frankfurt, ihre Tochter Martha wurde kurze Zeit später "nach Osten" deportiert und ermordet.

Johanette Klein lebte ab Dezember 1938 in verschiedenen jüdischen Alters-
heimen in Frankfurt. Von dort aus wurde sie schließlich im August 1942 im Alter von 81 Jahren nach Theresienstadt deportiert, wo sie nur kurze Zeit später verstarb.
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Auch für die Okrifteler Juden gab es nach dem November 1938 keine Zukunft mehr in der Gemeinde.

Bernhard und Eugenie Hahn zogen im März 1939 zu
ihrem Sohn Kurt nach Essen. Von dort aus betrieben sie
ihre Auswanderung nach Südamerika. Anfang 1940 reisten
sie – zusammen mit Sohn Willi und dessen Ehefrau – über Amsterdam nach Venezuela aus. 1941 starb Eugenie Hahn wohl an den Spätfolgen der ihr am Abend des 10. Novembers 1938 zugefügten Kopfverletzung.

Wann Johanna und Adolf Schwarz Okriftel verließen, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Vermutlich zogen sie direkt nach dem Pogrom nach Frankfurt, wo ihre Tochter Selma mit ihrem Ehemann Eduard Gotthilf und ihrer Tochter Wally lebte.
Adolf Schwarz beging am 9. Januar 1939 Selbstmord.
Johanna Schwarz wurde zusammen mit dem Rest der Familie im November 1941 nach Minsk deportiert. Ort und Zeitpunkt ihres Todes bleiben unbekannt.  

Die Unternehmerfamilie Offenheimer-Bloch hatte bereits vor dem Pogrom Vorbereitungen zur Emigration getroffen. Noch 1938 gelang ihnen die Flucht in die USA.  

Im Dezember 1938 meldete der Bürgermeister:  

Sämtliche Grundstücke werden wohl in den nächsten Tagen in arischen Besitz überführt […].  

Im Januar 1939 ergänzte er:

[…] Juden sind hier nicht mehr wohnhaft.       
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Vollbild
Das "Schicksalsjahr" 1938 bedeutete das Ende der fast 300-jährigen Geschichte des jüdischen Lebens in Hattersheim.

OPFER

In den drei Gemeinden wurden insgesamt 18 Personen Opfer des
Novemberpogroms. Die Ausschreitungen fanden fast allesamt am
Abend des 10. Novembers statt.

TÄTER
Die Täter rekrutierten sich hauptsächlich aus SA-Mitgliedern und Teilen der Parteibasis; auch die Hitlerjugend war beteiligt. Wenngleich einige an den Ausschreitungen Beteiligte offenbar Ortsfremde waren, so stammten doch
die meisten aus den Gemeinden selbst.

Der Politische Ausschuss in Hattersheim berichtet 1946 hierzu:  

Wir konnten […] inzwischen einige dieser Helden feststellen. Aber auch Ihnen wird inzwischen bekannt geworden sein, dass heute keiner etwas getan haben will.

JURISTISCHE UNTERSUCHUNGEN 
Bereits im Jahre 1938 wurde Anzeige gegen vier Plünderer in Hattersheim erstattet; über den Ausgang der Verfahren liegen bisher kaum Erkenntnisse vor; einer der Beschuldigten wurde zu einer Geldstrafe von 45 Mark verurteilt.

Der engere Kreis der auch nach dem Krieg beschuldigten Täter umfasste
in Hattersheim neun Personen; hiervon stammten nur zwei nicht aus der Gemeinde. In Eddersheim wurden im Rahmen der Ermittlungen 13 ortsan-
sässige Personen als mutmaßliche Täter benannt; in Okriftel waren es vier;
die Täter waren ausschließlich männlich.

Die Anzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer wurde von keiner Statistik erfasst.

HILFE UND ENTSCHÄDIGUNG
In bis zu sechs Fällen gibt es Hinweise auf Hilfe und Solidarität von An-
wohnerinnen und Anwohnern. Eine Entschädigung für die materiellen
Verluste erhielten die Opfer oder deren Nachkommen nur teilweise und
wenn, dann nach meist langwierigen Verfahren.   

NACH 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebten in Eddersheim und Okriftel keine Juden mehr. In Hattersheim wohnten nur noch Rosa Junker und zwei namentlich nicht genannte „Halbjuden“ (Söhne von Erna Mitter und Sophie Maas).

HEUTE
Im Jahr 2023 leben 23 Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens in
der Stadt Hattersheim am Main. Sie gehören der Jüdischen Gemeinde
in Frankfurt an.

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AUFARBEITUNG UND ERINNERUNGSKULTUR

Ende der 1990er Jahre begann auf Initiative der Stadt Hattersheim am Main die Aufarbeitung der Geschichte
der drei Hattersheimer Gemeinden zur Zeit des Nationalsozialismus.

Im Rahmen zahlreicher Kooperationsprojekte wurden viele Aspekte der Hattersheimer NS-Geschichte erforscht und der Öffentlichkeit präsentiert. 

Damit einher ging die systematische Erforschung der His-
torie der jüdischen Gemeinden. Insgesamt sind bisher die Schicksale von 74 Frauen, Männern und Kindern aus den drei Ortsteilen bekannt, die nach Definition der Nationalsozialisten als Jüdinnen und Juden galten.

An diesem Prozess waren neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung auch Historikerinnen und Historiker, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Opfer und deren Nachkommen, Pädagoginnen und Pädagogen sowie weitere Einzelpersonen wie Institutionen beteiligt.

Im Jahr 2009 nahm die städtische AG Opfergedenken ihre Arbeit auf.

2010 wurde mit der Verlegung der Stolpersteine begonnen - bis heute wurden 81 Steine für Opfer der NS-Diktatur
verlegt.

Seit vielen Jahren wird der 9. November als Gedenktag zum Anlass genommen, sich mit den Ereignissen rund um die "Kristallnacht" 1938 auseinanderzusetzen und an die Opfer aus Hattersheim, Eddersheim und Okriftel zu erinnern.




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ANHANG

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